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klar vs. streng

  • rahelmeshorerharim
  • 19. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit


In meiner Arbeit in der Begleitung von behinderten Menschen hat es mich immer äusserst irritiert, wenn jemand sagte: «Mit dem/der muss man halt streng sein.» Das ist auf so vielen Ebenen falsch und eine Anmassung sondergleichen und ich könnte mich nun hier 10'000 Zeichen lang darüber echauffieren. Aber ich möchte mich auf einen Aspekt konzentrieren, der mir irgendwann klar wurde und der mir nun auch in der Begleitung eines kleinen Kindes jeden Tag mehrfach zugute kommt. Man muss, man darf mit einem Menschen – egal, ob behindert oder nicht, unabhängig vom Alter – niemals streng sein. Man muss klar sein.

 

Klar in der Kommunikation, aber auch klar in der eigenen inneren Haltung und Absicht – denn die nimmt das Gegenüber sowieso wahr. Klar-Sein hat für mich mit Authentizität zu tun, während mir das Streng-Sein immer wie ein Handschuh vorkommt, der nicht ganz passt. Unnatürlich, etwas erzwungen, oftmals mehr von äusseren Erwartungen als von inneren Überzeugungen geprägt. Streng-Sein birgt ein sehr hohes Risiko, in Gewalt (jedweder Art) zu münden. Ungerecht zu sein, etwas «aus Prinzip» oder weil man sein Gesicht nicht verlieren will durchzusetzen.

 

Mit Klar-Sein kann man genau dieselben Werte vermitteln, Handlungen einfordern (z.B. aufräumen) oder Verhalten (co-)regulieren wie mit Streng-Sein. Es bedarf aber einer Vorarbeit, oftmals eines Justierens während der Situation, fast immer einer Nacharbeit, kurz: Klar-Sein ist zunächst einmal Arbeit. Arbeit an sich selbst, indem man herausfindet, was einem wirklich wichtig ist. Was will ich meinem Kind vermitteln? Welche Grenzen und Regeln sind unverhandelbar? 


Was sind meine eigenen Prioritäten und was habe ich übernommen von anderen, finde es selbst aber vielleicht gar nicht so wichtig? Oftmals merkt man den letzten Aspekt auch erst während einer Situation, vor allem, wenn das Kind schon grösser ist und ganz simpel fragt: «Warum?»

 

Diese Frage nach dem Warum kann sich – auch in der Begleitung von behinderten Menschen – manchmal wie ein ganz schön nerviger Fluch anfühlen, aber im Grunde ist sie ein Segen: Sie zwingt uns immer wieder, uns mit den Gründen für unsere Erwartungen, Forderungen und Grenzen an ein Gegenüber auseinanderzusetzen. Denn der Grat zwischen der Macht, die wir in der asymmetrischen Beziehung als Elternteil oder Betreuer*in naturgemäss haben, und dem – auch unbewussten – Missbrauch ebendieser ist ein sehr schmaler. Es lässt sich leichter auf ihm balancieren, wenn man sich eben klar ist darüber, was man vom anderen möchte. (Und vor allem: Was man vom Gegenüber überhaupt erwarten kann in Bezug auf seine Entwicklung!)

 

Dass ein Kleinkind sofort alles macht, was man von ihm verlangt, nur weil man klar ist, ist natürlich eine Illusion. Zum Glück! Es hilft aber als Elternteil ungemein im Aushalten und Begleiten der Reaktion und Emotionen des Kindes, wenn man eine Grenze aus der inneren Haltung des Klar-Seins und nicht des Streng-Sein setzen kann. Ich habe immer das Gefühl, dass es eine herausfordernde Situation auf eine gewisse Art weniger persönlich angreifbar macht, wenn man sie im Klar-Sein erlebt. Es entsteht eine innere Ruhe, die Raum schafft für das Gegenüber und hilft, dieses wirklich zu sehen. Es gibt kein vermeintliches Gesicht, das man um jeden Preis wahren muss. Konsequenzen können mit grösserer Wahrscheinlichkeit gerecht und sinnvoll, d.h. für das Kind nachvollziehbar, mit Lerneffekt und nicht willkürlich ausgesprochen werden.


Klar-Sein bedeutet also zunächst einmal eine Investition, einen Kraftaufwand - dies gleicht sich aber bald wieder aus, zumal sich sehr viele Situationen, welche unser Klar-Sein erfordern, im Alltag oft wiederholen. Gleichzeitig ist das Reflektieren und dadurch Klar-Werden natürlich nie abgeschlossen. Dennoch: Es lohnt sich. Für die eigenen Kräfte, für die Entwicklung des Kindes, für die Beziehung.

 
 
 

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