Wir haben den scheinbar Nichtbehinderten klarzumachen, dass ihre Unfähigkeit, Behinderte als Gleiche zu begreifen, ihre eigene Behinderung ist. (Ernst Klee)
Unser Kind ist behindert - und jetzt?
In meiner Arbeit durfte ich im vergangenen Jahrzehnt unzählige Erfahrungen in der Begleitung behinderter Erwachsener sammeln und zutiefst menschliche Begegnungen empfangen, mitgestalten, viele, viele Male geniessen, manchmal aushalten.
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Was mir durch meine Erfahrungen klar geworden ist:
Behinderung ist unglaublich vielfältig und fast immer ein Spektrum. Dies betrifft die Ausprägung und den Schweregrad von Symptomen und Komplikationen, welche mit der jeweiligen Behinderung oder Krankheit einhergehen – es betrifft aber auch das Spektrum an Gefühlen und Lebensrealitäten, welche ein Leben mit Behinderung wie jedes andere mit sich bringt: Freude, Trauer, Schmerzen, Leichtigkeit, lachen, weinen, Wut, Frustration, Heiterkeit. Und Liebe, so viel Liebe!
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Und: Es kann jeden treffen, jederzeit. Deshalb stehe ich der aktuellen Pränataldiagnostik und deren Umgang damit, welche oft rein zur Entscheidung «behalten oder abtreiben» führen soll, kritisch gegenüber. Dies vor allem auch in Bezug auf nicht ausreichend ausgebildete und sensibilisierte medizinische Fachpersonen, welche werdende Eltern nach einer Diagnose oftmals lediglich aus einem rein medizinischen Verständnis von Behinderung beraten können, welches defizitorientiert ist. Die meisten Menschen haben kaum Berührungspunkte mit Behinderung. Das ist nicht nur schade, sondern auch gefährlich, denn so wird es in der Gesellschaft mehrheitsfähig, dass (vermeintlich) entschieden werden kann, welches Leben lebenswert ist und welches eben nicht. Zumal kaum jemand weiss, dass nur knapp 3,5% aller Behinderungen angeboren sind und ein Bruchteil davon überhaupt pränatal diagnostizierbar ist. Wenn Pränataldiagnostik, dann bitte mit selbstverständlichen Anlaufstellen, welche alle Facetten eines Lebens mit Behinderung abbilden und Auskunft geben können, z.B. Selbstvertreter*innen, Eltern oder Geschwister. Letztendlich gibt es kein Recht auf ein gesundes, nicht-behindertes Kind.
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Das durchschnittliche (Un)Verständnis von Behinderung entspringt meist dem bereits erwähnten medizinischen, defizitorientierten Denken. "So was muss doch heute nicht mehr sein." Auch in meiner Arbeit erfahre ich dies regelmässig: Wenn ich mit jemandem im Rollstuhl unterwegs bin und im Bus getuschelt wird; wenn ich eine lustige Anekdote erzähle und mein Gegenüber sofort ein mitleidiges Gesicht aufsetzt, "die armen Behinderten"; wenn mir ständig gesagt wird "also das könnte ich ja nicht" (und ich könnte nicht 8 Stunden im Büro sitzen).
Kein Wunder, dass (werdende) Eltern nach einer Diagnose und Entscheidung für ihr Kind es doppelt schwer haben (bzw. es ihnen schwer gemacht wird) zusätzlich zu den ganz normalen Emotionen wie Trauer, Zukunftsängsten oder Wut.
Für diese Eltern möchte ich mit meinem Angebot da sein - um sie auf ihrem Weg und in den Prozessen, in welche man unweigerlich geworfen wird in einer solchen Situation, zu begleiten. Um ihnen von Menschen erzählen zu können, die dieselbe Diagnose haben wie ihr Kind. Um ihnen zu zeigen, wo sie sich Unterstützung holen können, in jeglicher Hinsicht. Um mich mit ihnen auf und über ihr Kind zu freuen!
Und nicht zuletzt auch um gerade die Mutter nicht vergessen zu lassen: Du hast ein Kind in dir getragen und es geboren - auch du brauchst Pflege, Hülle und Wärme, ein Wochenbett. Dieses mag gezwungernermassen anders aussehen als bei anderen, aber ich bin da und stütze dich und euch, wo es geht. Sei es durch Gespräche, durch Wäschemachen und Vorkochen, durch Fachinformationen oder ein paar Stunden Ablösung zuhause oder im Krankenhaus.
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Ich freue mich auf euch!
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